Zum Inhalt springen
Registrieren

Gewissensfrage eines Trainers - arbeite ich für den Hund oder für den Menschen?


Bärenkind

Empfohlene Beiträge

Bärenkind

Seit Tagen stehe ich einmal wieder vor einer Gewissensfrage, die mein Bauch zunächst spontan bei der ersten Begegnung nach nur wenigen Minuten mit "der Hund muss dort weg" beantwortet hat.

Nach genauer Kenntnis der Umstände bekam mein Kopf allerdings so viele Informationen, dass mein Empathie-Empfinden nicht mehr weiß, wer mehr Hilfe braucht, der Hundehalter oder der Hund.

Um es kurz zu umreißen: 10 Monate alter Gebrauchshund, 2 Monate nach dem Tod des Ehepartners als Welpe angeschafft, Stadtwohnung, kein Geld, der Strom wurde bereits abgestellt... Probleme mit der Nachbarschaft, Probleme im Job, hochgradig Probleme mit der Verarbeitung des Verlustes und den Ursachen dieses Verlustes. Selbst physisch krank, über die Psyche kann ich nur spekulieren...

Aufbau einer Parallelwelt aus Lügen und Illusionen. Missbrauch des Hundes als Partner-Ersatz und Projektionsfläche für Sorgen, Trauer und Nöte.

Nehme ich dieser Person den Hund (was überhaupt nur mit massivstem Druck möglich wäre, denn Vet-Amt und Tierschutz haben andere dort schon hin geschickt), nehme ich ihr alles, was sie noch hat. Arbeite ich mit dieser Person weiter mit und an ihrem Hund, verkaufe ich möglicherweise unbewusst ein Stück weit eine Illusion, deren Größe ich noch nicht einschätzen kann. Ich verkaufe keine Illusionen, ich will HELFEN.

Mir ist schlicht nicht klar, ob es möglich ist, unter den gegebenen Umständen diesem Hund jemals gerecht zu werden. Mir ist auch nicht klar, was die Person in der Lage ist, an ihren Lebensumständen kurz- bis mittelfristig zu verändern, um befähigt zu sein, einen solchen Hund zu führen. Die Aussage des Halters ist, den Hund so abgöttisch zu lieben, um jetzt ALLES dafür tun zu wollen, dass es ihm besser geht, dass er ein gutes Leben bekommt, und ihn handlebar zu machen. Immerhin haben wir nach einem Termin geschafft, dass wieder mit ihm das Haus verlassen werden kann.

Die Uhr tickt. Es läuft eine Räumungsklage, der Chef hat eine Woche Urlaub geschenkt und bezahlt meine Stunden diese Woche, um zu helfen. Wie es jetzt nach dieser Woche weiter geht, weiß ich nicht.

Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie es dort abgeht. Der Hund hat einen krassen Kontrollzwang entwickelt, ist der Person körperlich durchaus gewachsen, wenn nicht überlegen, und ist einerseits völlig überfordert mit den Lasten, die er trägt, aber natürlich auch irgendwo völlig unterfordert. Tapeten hängen von der Wand, Türrahmen sind zerkratzt und zerbissen, Laminat ebenso, die Teppiche sind mit unaussprechlichem getränkt...

Die Wohnung ist mit Teppich ausgelegt, und da mit ihm nicht mehr raus gegangen werden konnte, wurde sich eben drinnen entleert. Das olfaktorische Ergebnis versucht man, mit Parfüm zu überdecken. Ich bekomme Würgereiz, sobald ich die Türe betreten habe, den ganzen Tag schleppe ich den Geruch mit mir herum und fühle erste Ansätze von Waschzwang.

Es belastet mich unendlich... das hatte ich lange nicht mehr. Hier kann ich nicht so klar sehen und handeln, wie ich das gewöhnt bin. Und einfach weg schieben kann ich den Fall auch nicht.

Musste das mal von der Seele schreiben, auch wenn mir vermutlich niemand helfen kann.

LG Anja

Link zu diesem Kommentar
  • Antworten 71
  • Erstellt
  • Letzte Antwort

Top-Benutzer in diesem Thema

  • gast

    21

  • Bärenkind

    11

  • MaramitJule

    6

  • kamiko

    3

Top-Benutzer in diesem Thema

Ich kann gut nachvollziehen wie Dich das belastet :(:kuss: Aber oft ist der Hund der Schlüssel dazu, dem Menschen zu helfen, hilft man dem einem, hilft man dem anderen und umgekehrt.

Es hängt auch nicht alles an einer Person, also auch nicht an Dir allein, es ist ein Netzwerk aus vielen Menschen nötig, um allen (Mensch und Hund) wirksam helfen zu können. Gibt es denn außer Dir noch jemanden, der sich um beide kümmert?

Ich finde es von einem Menschen in so einer Situation schon großartig und bemerkenswert, dass er sich einen Hundetrainer nimmt, und wenn der Chef schon Deine Stunden bezahlt, ist derjenige zum Glück nicht ganz allein. Ich hoffe es wendet sich alles zum Guten.

Link zu diesem Kommentar
Originalbeitrag

Nehme ich dieser Person den Hund (was überhaupt nur mit massivstem Druck möglich wäre, denn Vet-Amt und Tierschutz haben andere dort schon hin geschickt), nehme ich ihr alles, was sie noch hat. Arbeite ich mit dieser Person weiter mit und an ihrem Hund, verkaufe ich möglicherweise unbewusst ein Stück weit eine Illusion, deren Größe ich noch nicht einschätzen kann. Ich verkaufe keine Illusionen, ich will HELFEN.

Mir ist schlicht nicht klar, ob es möglich ist, unter den gegebenen Umständen diesem Hund jemals gerecht zu werden. Mir ist auch nicht klar, was die Person in der Lage ist, an ihren Lebensumständen kurz- bis mittelfristig zu verändern, um befähigt zu sein, einen solchen Hund zu führen. Die Aussage des Halters ist, den Hund so abgöttisch zu lieben, um jetzt ALLES dafür tun zu wollen, dass es ihm besser geht, dass er ein gutes Leben bekommt, und ihn handlebar zu machen. Immerhin haben wir nach einem Termin geschafft, dass wieder mit ihm das Haus verlassen werden kann.

Ich bin weder Hundetrainer noch Psychotherapeut für Menschen.

Aber vermutlich würde ich dem Menschen ganz klar ins Gesicht sagen, dass sich SOFORT etwas ändern muss, dass es keinen Zeitaufschub und kein Kopf in den Sand stecken gibt sondern nur die derbe Realität!

Und dass ihre Versäumnisse Folgen haben werden, die SIE alleine vor sich zu verantworten hat.

Dass sie sich helfen lassen muss, wenn sie sich nicht selber helfen kann und zwar professionell.

Eine sehr gute Freundin von mir und später (nach Selbstständigkeit) auch Kundin, hat ihr Pferd maßlos fett gefüttert. Weil sie der Meinung war, so ein Pferd hätte doch außer fressen keine Freude im Leben... es wurde krank, schwer krank!!!

Als wir ihn soweit hatten, dass er nicht mehr in Lebensgefahr war, habe ich ihr gesagt, dass ich persönlich den Amtstierarzt anrufen werde und sie eine Anzeige von mir zu erwarten hat, wenn sie ihr Pferd noch einmal überfüttert und sich nicht an meine Futteranweisungen hält!

Das ist 10 Jahre her, wir sind immer noch beste Freunde und das Pferd ist nie wieder verfettet!

Manchmal hilft Klartext, um den Menschen selber zu helfen!

Link zu diesem Kommentar
Bärenkind

Skita, Du glaubst nicht, wie direkt ich kommuniziere. Ich rede da nicht um den heißen Brei herum. Ich habe ganz klar gesagt, dass ich hier im Moment nur Schadensbegrenzung betreiben kann, weil die Ursache für den Zustand des Hundes in dem liegt, was sie erlebt und zu verarbeiten hat. Und dass ich dafür leider nicht ausgebildet bin, sie aber dringend einen Profi für SICH braucht.

Ja, ein Mini-Netzwerk gibt es, das allerdings über Monate belogen wurde. Ob nun bewusst oder aufgrund der seelischen (ich nenne es jetzt mal) Erkrankung/Überlastung, weiß ich nicht. Ich kenne 2 Personen daraus, eine seit gestern, und der zweite ist der Chef, der seit einigen Monaten mein Kunde ist.

Noch kann ich nicht einschätzen, wie belastbar die Geduld der beiden noch ist bzw. wie lange und wie intensiv sie schon päppeln. Damit steht und fällt das ganze Projekt. Selbst wenn ich kostenlos weiter arbeiten würde, weil der Sponsor abspringt, so ist dennoch das Netzwerk nötig, um die Schein- und Lügenwelt nicht wieder möglich zu machen.

LG Anja

Link zu diesem Kommentar

Es gibt auch die Möglichkeit einer gerichtlich bestellten Betreuung, ich würde die Bedingungen in dem Fall als gegeben sehen. Dafür muss man nicht direkt vor Gericht ziehen, und es geht auch gar nicht darum dem Menschen eins auszuwischen. In den meisten Städten gibt es inzwischen Betreuungsbüros, an die man sich erstmal unverbindlich wenden kann und gemeinsam schaut, welche Hilfe in Betracht kommen würde.

Link zu diesem Kommentar

Anja, wenn ich geschrieben habe, wie ICH (NUR ich!) reagieren würde, habe ich damit nicht vorrausgesetzt, dass Du tatenlos wärst ;)

Ich habe lediglich geschildert, was ich vermutlich in diesem Fall täte....

Ganz unabhängig davon, was Du bereits tust, von dem weder ich noch sonstwer hier weiß ;):)

Link zu diesem Kommentar
Bärenkind
Originalbeitrag

Anja, wenn ich geschrieben habe, wie ICH (NUR ich!) reagieren würde, habe ich damit nicht vorrausgesetzt, dass Du tatenlos wärst ;)

Ich habe lediglich geschildert, was ich vermutlich in diesem Fall täte....

Ganz unabhängig davon, was Du bereits tust, von dem weder ich noch sonstwer hier weiß ;):)

Du hast es so ziemlich in Deinem Text auf den Punt gebracht, was ich tue.

@ Dog: Danke für den Tipp. Kann da jeder X-beliebige hin gehen und sagen "hey, da braucht jemand Betreuung, kümmert Euch mal"? Ich habe davon bisher nichts gehört.

Aber ich weiß z.B. dass es hier eine Schuldnerberatung gibt für Menschen mit solchen Problemen, da bekommt man frühestens in 6 Monaten einen Termin...

LG Anja

Link zu diesem Kommentar

Hallo Anja,helfen werde ich Dir auch nur bedingt können.Ich versuche aber mal Dir meine persönlichen Erfahrungen mitzuteilen.

Ich bin keine Hundetrainerin,habe aber 40 jährige Erfahrung in der Gebrauchshundehaltung,bin Krankenschwester mit zusätzlich psychologischer Qualifikation.

Habe selbst vor 1,5 Jahren einen Hund aus fast derselben Haltung übernommen.

Der einzige Unterschied war,das der Vorbesitzer unseres Hundes Drogenabhängig war.

Zwischenfrage,welche physichen Probleme liegen vor??

Es gab aber in etwa dieselben Probleme.Hund wurde nicht mehr ausgeführt,mangelhaft ernährt,aber mit "Liebe" überschüttet.Die Konsequenzen hatten wir zu tragen.Das Problem war aber,es war schon der dritte Hund,welcher diesem Mann weggenommen wurde.Eingeschaltet hatte sich eine private Pflegestation für Hunde,die durch eine Bekannte des Mannes aufmerksam gemacht wurde.

Sollten die Probleme nur physicher Natur sein,was ich nicht glaube,würde ich für den Menschen sprechen.Ich bin der Meinung es liegen nicht nur physiche ,sondern auch psyschiche Probleme vor.Dazu kommen wahrscheinlich noch finanzielle Probleme.

Es tut mir leid,aber bei diesen Problemen,würde ich dem Hund die Chance geben.

Der,die Besitzerin,können vielleicht mit viel Hilfe,die Kurve auf lange Zeit kriegen,aber dann ist es für den Hund zu spät.

Meine Meinung,persönliches Leben in den Griff bekommen und dann kann man über einen neuen Hund reden.Ich weis,es klingt hart,aber oftmals kann man Menschen nicht anders wachrütteln.

LG Brigitte

Link zu diesem Kommentar

Liebe Anja,

ich versuche mal eine Antwort...

Oder irgendwie von außen einen Blick, der Dir vielleicht hilft.

Zuallererst und vorweg:

Deine Fragestellung berührt mich tief.

Und ich ziehe meinen allergrößten Hut vor Dir, Deinem Einsatz und Deiner Empathie.

Das ist einfach großartig.

Mein erster Gedanke war wie Deiner:

"Rette den Hund".

Und damit verbunden, "Rette die Besitzerin/ den Besitzer", weil welche Probleme werden da noch kommen?

2. Gedanke:

So wie Du es beschreibst, ist der/ die HH nicht in der Lage für sich selber zu sorgen. Wie kann er/ sie das dann für einen Hund?

Die Person sagt, sie liebt den Hund abgöttisch. Und das ist bestimmt auch wahr.

Aber zuerst muss sie lernen, wieder für sich zu zu sorgen.

Erst dann kann sie auch für einen Hund oder ein anderes Lebewesen sorgen.

Soweit die Theorie.

Praxis: Die Person klammert sich an den Hund, braucht den Hund. Sagt sie. Und meint das bestimmt auch.

Und der Hund gibt ihr vielleicht/ bestimmt auch das Gefühl von Verantwortung, Trost, Lebenssinn.

Und wenn das jemand wegnimmt, dann bricht sie zusammen.

Der Hund ist/ könnte ja auch sowas wie eine Flucht sein.

Ich kann Deine Angst verstehen.

Ich glaube:

- entschuldige bitte, wenn ich Dir jetzt zu nahe trete. Und das ist überhaupt nicht böse gemeint, ganz im Gegenteil.

Diese Aufgabe ist für Dich alleine zu groß.

Gibt es die Möglichkeit sowas wie Familienhelfer, den psychosozialen Dienst heranzuziehen?

So, das Du das begleitest, aber nicht die alleinige Verantwortung trägst.

(So hört sich das grade an. Du wurdest wegen des Hundes gefragt und das kannst Du. Aber auf einmal kommen da Probleme, die gar nicht Dein Metier sind.)

Kannst Du Ansprechpartner in Cux finden, die sich um die Person kümmern?

Und Du bist und bleibst dabei und arbeitest an der Beziehung Mensch und Hund.

Aber eben nicht an den Fragestellungen:

"Wie kann ich dieser Person helfen das Leben wieder aktiv in die Hand zu nehmen?"

Das machen dann Menschen, die Psych studiert haben z.B.

Und Du arbeitest an der Fragestellung:

"Wie hilft der Hund dabei?"

"Und wenn der Hund hilft, wie unterstütze ich das?"

Also eigentlich ein Team finden, dass mit Dir zusammenarbeitet.

Und mit dem Du Dich auch aktuell austauschen kannst.

Ich hoffe, das hat Dir ein bißchen weitergeholfen.

Und weil ich keinen smilie machen kann, der den Hut zieht, mußt Du ihn Dir jetzt einfach vorstellen.

Ich schick Dir stattdessen einen fertigen :respekt:

und vor allem liebe Grüße

Link zu diesem Kommentar

Erstelle ein Benutzerkonto oder melde Dich an, um zu kommentieren

Du musst ein Benutzerkonto haben, um einen Kommentar verfassen zu können

Benutzerkonto erstellen

Neues Benutzerkonto für unsere Community erstellen. Es ist einfach!

Neues Benutzerkonto erstellen

Anmelden

Du hast bereits ein Benutzerkonto? Melde Dich hier an.

Jetzt anmelden

×
×
  • Neu erstellen...