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Besteuerung der Hundehaltung ist auch bei Sozialhilfeempfängern zulässig


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Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 3020/08

Datum: 08.06.2010

Aktenzeichen: 14 A 3020/08

Leitsätze

1. Die Besteuerung der Hundehaltung ist regelmäßig auch bei Sozialhilfeempfängern zulässig.

2. Für individuelle Sonderfälle sieht das Steuerrecht das Institut des (Teil-)Erlasses der Steuerschuld aus Billigkeitsgründen vor, das der Behörde das Recht und die Pflicht gibt, unter besonderen Umständen Härten einer den Einzelfall nicht in den Blick nehmenden Regelung auszugleichen.

3. Es ist unzulässig, eine Steuer vor ihrer Entstehung festzusetzen.

4. Wurde die Steuer verfahrensfehlerhaft vor ihrer Entstehung festgesetzt, kann die Aufhebung der Festsetzung nicht mehr verlangt werden, wenn die Steuer zwischenzeitlich entstanden ist.

Tenor:

Soweit die Beteiligten den Rechtstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das angegriffene Urteil ist insoweit wirkungslos.

Das angegriffene Urteil wird im Übrigen geändert: Die Klage wird hinsichtlich des noch anhängigen Teils abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der 1932 geborene Kläger ist Rentner. Er erhielt im Jahre 2000 eine Altersrente von monatlich umgerechnet 294,15 Euro, später 272,83 Euro, und verdiente sich durch eine Nebentätigkeit zusätzlich 409,03 Euro monatlich. Zurzeit bezieht er eine Altersrente von 311,29 Euro und erhält ergänzende Sozialhilfe in Höhe von 423,66 Euro.

2

Im Winter 1999 fand der Kläger einen Pudel auf, den er zu sich nach Hause nahm und pflegte. Am 14. September 2000 wurde der Kläger von einem Bediensteten des Beklagten und einem Polizeibeamten in einem Park mit dem Pudel, der keine Steuermarke trug, angetroffen. Durch Bescheide vom 17. November 2000, 5. Januar 2001, 26. April 2001, 31. Januar 2002, 27. Januar 2003, 12. Januar 2004, 24. Januar 2005 und 20. Januar 2006 setzte der Beklagte für die jeweiligen Jahre gegenüber dem Kläger eine Hundesteuer in Höhe der Hälfte des Regelsatzes für einen Hund über insgesamt 441, 81 Euro fest. Der Steuerbescheid vom 20. Januar 2006 enthält weiter folgenden Text: "Zukünftige Leistungen: Dieser Bescheid ist zugleich ein Festsetzungsbescheid für Folgejahre. Bis zur Bekanntgabe eines neuen Bescheides sind die oben aufgeführten Beträge zu den Fälligkeiten 15.02., 15.05., 15.08., und 15.11, eines Jahres weiter zu zahlen." Mit Schreiben vom 25. September 2000 beantragte der Kläger beim Beklagten mit Rücksicht auf sein geringes Einkommen eine Ermäßigung der Hundesteuer. Diese wurde durch Bescheid vom 17. April 2001 gewährt, indem die Steuer rückwirkend auf die Hälfte des Regelbetrages festgesetzt wurde. Nachdem die Steuer in der Folgezeit nur teilweise bezahlt wurde und Vollstreckungsversuche des Beklagten unternommen wurden, hat sich der Kläger am 24. August 2007 an das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen gewandt und darum gebeten, die Stadtverwaltung E. zu veranlassen, die seit September 2000 seiner Meinung nach zu Unrecht verlangte und von ihm gezahlte Hundesteuer zu erstatten.

3

Zur Begründung hat er vorgetragen: Er habe das Tier im Winter 1999 im Schnee aufgefunden und zu einem Tierheim gebracht. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass das Tier wegen Entkräftung eingeschläfert werden müsse. Dies habe er verhindern wollen und es deshalb mit nach Hause genommen und aufgepäppelt. Er sei nicht Eigentümer des Tieres, sondern bloßer Pfleger, bis der Eigentümer sich melde. Daher sei er auch nicht steuerpflichtig. Wegen seines geringen Einkommens verblieben ihm und dem Hund nur noch monatlich 160,00 Euro zum Leben. Davon könne er die geforderte Hundesteuer nicht zahlen.

4

Der Kläger hat beantragt,

5

die Hundesteuerfestsetzungen für die Zeit vom 1. September 2000 bis zum 31. Dezember 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

6

Der Beklagte hat beantragt,

7

die Klage abzuweisen.

8

Er hat vorgetragen: Der Kläger sei als Halter des Hundes steuerpflichtig. Mit Rücksicht darauf, dass der Kläger den Hund gefunden habe, sei die Steuer erst ab dem 1. September 2000 festgesetzt worden. Seitdem könne nicht mehr von einer nur vorübergehenden oder kurzfristigen Hundehaltung gesprochen werden. Die soziale Lage des Klägers sei berücksichtigt worden, indem entsprechend der Satzungsregelung nur der ermäßigte Steuersatz von 72,00 Euro im Jahr festgesetzt worden sei. Alle Steuerbescheide seien bestandskräftig. Auch für die Jahre nach 2006 lägen bestandskräftige Steuerfestsetzungen vor, da der Bescheid vom 20. Januar 2006 auch für Folgejahre gelte.

9

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Versagung der Aufhebung der Steuerfestsetzungen für die Zeit vom 1. September 2000 bis zum 31. Dezember 2008 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

10

Dagegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene und rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung des Beklagten, mit der er vorträgt: Der Kläger sei als Halter des Hundes steuerpflichtig. Zu Unrecht meine das Verwaltungsgericht, die ergangenen Steuerbescheide seien rechtswidrig. Die Besteuerung sei nicht unverhältnismäßig. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einkommensbesteuerung sei nicht einschlägig, da es hier alleine um die Besteuerung eines betriebenen Aufwandes gehe, so dass es auf die Herkunft der dafür aufgewandten Mittel nicht ankomme. Der Lebensunterhalt des Klägers werde letztlich durch einen entsprechenden Vollstreckungsschutz gesichert.

11

Der Hund ist im März 2010 verstorben. Darauf hat der Beklagte den Hundesteuerbescheid vom 20. Januar 2006 aufgehoben, soweit in ihm eine Hundesteuer für den Zeitraum nach März 2010 festgesetzt wurde. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklärt.

12

Der Beklagte beantragt,

13

das angegriffene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

16

Er hält das angegriffene Urteil für richtig.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.

18

Entscheidungsgründe:

19

Die Klage ist, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, dahin zu verstehen, dass der Beklagte verpflichtet werden soll, alle dem Kläger gegenüber ergangenen Hundesteuerbescheide ohne Begrenzung auf bestimmte Steuerjahre zurückzunehmen. Dafür, dass lediglich die Bescheidung eines Aufhebungsbegehrens verlangt wurde, wie es das Verwaltungsgericht meint, gibt es weder nach dem Klagebegehren in der Klageschrift (Erstattung der verlangten und gezahlten Steuern) noch nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellten Antrag (Aufhebung der Hundesteuerfestsetzungen und Verpflichtung zur erneuten Bescheidung) genügend Anhalt. Auch ist eine Aufhebung aller Festsetzungen ohne Beschränkung auf bestimmte Steuerjahre Klagegegenstand: Zwar war der Klageantrag und ist auch der aufhebende Tenor des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf die Steuerfestsetzungen bis 2008 beschränkt. Das erklärt sich aber aus dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Oktober 2008 und der Tatsache, dass sich der Steuerbescheid vom 20. Januar 2006 Festsetzungswirkung auch für alle Folgejahre zuschreibt. Das Verwaltungsgericht und auch der Kläger haben daher nur irrtümlich nicht in den Blick genommen, dass auch für zukünftige Jahre Festsetzungen vorliegen, deren Rücknahme begehrt wird.

20

Soweit der Bescheid vom 20. Januar 2006 aufgehoben worden ist, war das Verfahren einzustellen und das erstinstanzliche Urteil insofern für wirkungslos zu erklären (entsprechend §§ 92 Abs. 3, 173 der Verwaltungsgerichtsordnung VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung - ZPO -).

21

Die zulässige Berufung gegen den verbliebenen Teil des angegriffenen Urteils ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage in diesem Punkte zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der ergangenen Steuerbescheide und auch nicht auf erneute Bescheidung seines Rücknahmebegehrens.

22

Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) i.V.m. § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen liegen schon deshalb nicht vor, weil die ergangenen Steuerbescheide insoweit nicht rechtswidrig sind. Sie rechtfertigen sich aus §§ 1, 2 und 5 der Hundesteuersatzung der Stadt E. vom 19. August 2003 i.d.F. der Änderungssatzung vom 25. Juli 2005 (HStS) bzw. den Vorgängersatzungen vom 10. Dezember 2001, 18. Dezember 2000 und 20. Dezember 1999. Nach § 1 Abs. 1 HStS und nach den entsprechenden inhaltsgleichen Vorschriften der Vorgängersatzungen unterliegt das Halten von Hunden im Stadtgebiet der Steuerpflicht, die nach Abs. 2 Satz 1 den Hundehalter trifft. Hundehalter ist nach Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift auch derjenige, der einen Hund in Pflege oder Verwahrung genommen hat, wobei nach Satz 2 der Vorschrift die Steuerpflicht in jedem Falle eintritt, wenn die Pflege oder Verwahrung den Zeitraum von zwei Monaten überschreitet. Diese Voraussetzungen trafen auf den Kläger zu. Namentlich kommt es nicht darauf an, ob er Eigentümer des Hundes oder bloß sein Pfleger war. Der Steuersatz ist hier auch zutreffend gemäß §§ 2 Abs. 1 Buchst. a, 5 Abs. 3 HStS bzw. den entsprechenden Vorschriften der Vorgängersatzungen jährlich auf die Hälfte des Normalsatzes festgesetzt worden für Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (heute: Sozialgesetzbuch, XII. Buch) und solche Personen, die diesen einkommensmäßig gleichstehen.

23

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts stellen die ergangenen Bescheide nicht deshalb unverhältnismäßige Eingriffe in die Abgabefreiheit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) dar, weil mit ihnen verfassungswidrig das Existenzminimum besteuert würde. Die Hundesteuer ist eine örtliche Aufwandsteuer i.S.d. Art. 105 Abs. 2a GG, zu deren Erhebung die Gemeinden nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KAG ermächtigt sind. Aufwandsteuern erfassen (nur) den besonderen, über die Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs hinausgehenden Aufwand für die persönliche Lebensführung und besteuern damit die in der Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

24

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 10 C 1.07 -, NVwZ 2008, 91.

25

Weil die Hundesteuer als Aufwandsteuer nicht an Einkommen und Vermögen des Steuerpflichtigen anknüpft, sondern an einen Aufwand, den dieser sich leistet, kommt es nicht darauf an, ob sich der Steuerpflichtige im Einzelfall diesen Aufwand eigentlich nicht leisten kann.

26

So für die Zweitwohnungssteuer, die ebenfalls eine örtliche Aufwandsteuer ist, BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 2005 1 BvR 1232/00 -, BVerfGE 114, 316 (334); Beschluss vom 6. Dezember 1983 2 BvR 1275/79 -, BVerfGE 65, 325 (348); BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2009 9 C 7.08 -, NVwZ 2009, 1437 (1440).

27

Die Erhebung der Hundesteuer von Sozialhilfeempfängern ist generell kein übermäßiger und somit unverhältnismäßiger Eingriff. Zu Unrecht meint das Verwaltungsgericht, es sei wegen Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig, wenn eine Steuer aus demjenigen zu bezahlen sei, was der Staat dem Einzelnen zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins als Existenzminimum zur Verfügung stelle. Richtig ist alleine, dass der Staat einkommensteuerrechtlich das Existenzminimum freistellen muss. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen.

28

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 -, BVerfGE 120, 125 (154 f.).

29

Das lässt sich aber nicht auf die Besteuerung getätigten Aufwands übertragen. Während bei der Besteuerung des Existenzminimumeinkommens die bloße Tatsache der Erzielung des Einkommens die Steuerpflicht auslösen würde, so dass beim Steuerpflichtigen unvermeidlich weniger als das Existenzminimum zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs übrig bleibt, liegt die Auslösung der Steuerpflicht bei der Aufwandsteuer in der Hand des Steuerpflichtigen.

30

Die Hundesteuer als örtliche Aufwandsteuer knüpft daran an, dass jemand einen über den allgemeinen Lebensbedarf hinausgehenden Aufwand treibt, so dass sich darin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die die Besteuerung rechtfertigt, zeigt. Da die Höhe der Sozialhilfe von einem staatlich festgesetzten Regelsatz abhängt, der seinerseits an bestimmten Bruchteilen der Verbrauchsausgaben der untersten 20 v. H. der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes nach Herausnahme der Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe orientiert ist (vgl. im Einzelnen §§ 28, 40 SGB XII und § 2 der Regelsatzverordnung), steht es dem einzelnen Sozialhilfeempfänger frei, auf bestimmte, vom Gesetzgeber zur Führung eines menschenwürdigen Lebens (vgl. § 1 Satz 1 SGB XII ) vorgesehene Ausgaben, etwa bei Haushaltsgeräten, Unterhaltung, Kultur oder Tabak, zu verzichten, um über den allgemeinen Lebensbedarf hinausgehende Bedürfnisse zu befriedigen, hier für die private Tierhaltung. Insofern indiziert auch bei einem Sozialhilfeempfänger die Tatsache der Hundehaltung im Einzelfall vorliegende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Wenn er meint, sich den steuerpflichtigen Aufwand mit Rücksicht auf die Deckung des notwendigen Lebensbedarfs nicht leisten zu können, muss er auf den Aufwand verzichten, also hier auf die Haltung eines Hundes, bei der Zweitwohnungssteuer auf die Innehabung einer Zweitwohnung, bei der Vergnügungssteuer, die zwar der Veranstalter des Vergnügens schuldet, die aber auf Überwälzung auf den sich Vergnügenden angelegt ist, auf das Vergnügen. Gleiches gilt für den Verzicht auf das Halten eines Kraftfahrzeuges, wenn der Halter die Kraftfahrzeugsteuer nicht aufbringen kann.

31

Vgl. zum Erlass der Kraftfahrzeugsteuer bei Sozialhilfeempfängern Finanzgericht des Landes Sachsen- Anhalt, Urteil vom 19. Januar 2005 2 K 1912/03 -, juris Rn. 3, 12; Finanzgericht München, Urteil vom 26. Oktober 1994 - 4 K 603/93 - juris; zur Kraftfahrzeugsteuer, die üblicherweise als Verkehrsteuer, z.T. aber auch als überörtliche Aufwandsteuer eingestuft wird, Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 5, 3. Auflage, § 118 Rn. 240.

32

Die Verwendung des Existenzminimumeinkommens ist Sache desjenigen, der es erzielt. Es gibt keine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, jenem durch Steuerbefreiung einen Aufwand zu ermöglichen, den er sich mit der Steuer nicht leisten kann. Daher ist die Besteuerung der Hundehaltung regelmäßig auch bei Sozialhilfeempfängern keine unverhältnismäßige Belastung.

33

Die Festsetzung einer Hundesteuer für Personen, die nur über das existenznotwendige Einkommen verfügen, ist auch nicht wegen erdrosselnder Wirkung der Steuer unzulässig. Die Erdrosselungswirkung einer Steuer betrifft unterschiedliche Schranken der Zulässigkeit einer Steuer. So ist eine Steuervorschrift, die faktisch zu einem Verbot des besteuerten Vorgangs und nicht mehr zu Steuereinnahmen führt, gar keine Regelung steuerlicher Art mehr, so dass sie nicht auf die Steuerkompetenz gestützt werden kann.

34

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006 2 BvR 2194/99 -, BVerfGE 115, 97 (115); Urteil vom 7. Mai 1998 2 BvR 1991/95 -, BVerfGE 98, 106 (118); Beschluss vom 8. Dezember 1970 1 BvR 95/68 -, BVerfGE 29, 327 (331).

35

Darüber hinaus markiert die Erdrosselungswirkung einer Steuer eine grundrechtliche Schranke. Die Steuer stellt einen unzulässigen Eigentumseingriff (Art. 14 Abs. 1 GG) dar, wenn die Geldleistungspflicht den Betroffenen übermäßig belastet und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt, so dass sie etwa die Fortführung von Unternehmen regelmäßig unmöglich macht.

36

Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. April 1997 1 BvR 48/94 -, BVerfGE 95, 267 (300 f.); unter diesen Voraussetzungen wird auch ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG erwogen, vgl. Beschluss vom 18. Januar 2006 2 BvR 2194/99 -, BVerfGE 115, 97 (113).

37

Schließlich bezeichnet die steuerrechtliche Erdrosselungswirkung auch den unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG, wenn die Steuer es in aller Regel unmöglich macht, den von der Steuer betroffenen Beruf zur Grundlage der Lebensführung zu machen.

38

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. April 1971 1 BvL 22/67 -, BVerfGE 31, 8 (29); Urteil vom 22. Mai 1963 1 BvR 78/56 -, BVerfGE 16, 147 (175).

39

Alle diese Grenzen sind hier nicht betroffen: Die erhöhte Hundesteuer führt nicht zu einem faktischen Verbot der Hundehaltung, so dass keine Verbotsnorm im bloß formellen Kleid einer Steuernorm vorliegt. Sie stellt auch keine übermäßige Belastung und grundlegende Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse eines Sozialhilfeempfängers dar, wie oben bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung gezeigt wurde, denn es liegt in der Hand des Steuerpflichtigen, ob er den steuerpflichtigen Aufwand betreibt und damit eine Beeinträchtigung seiner Vermögensverhältnisse in Kauf nimmt.

40

Allerdings liegt in der Auferlegung der erhöhten Hundesteuer nicht nur ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne der Abgabefreiheit, sondern auch wegen der mit der Hundesteuer bezweckten Lenkungswirkung ein Eingriff in die von der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasste Freiheit zur Hundehaltung. Die Hundesteuer wird nämlich nicht nur wegen ihres wirtschaftlichen Ertrages erhoben, sondern verfolgt darüber hinaus den Zweck, die Hundehaltung und die damit verbundenen Belästigungen und Gefahren für die Allgemeinheit einzudämmen.

41

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1978 7 B 73.77 -, NJW 1978, 1870; Urteil vom 9. Oktober 1959 VII C 97.58 -, NJW 1960, 165; BFH, Urteil vom 14. Oktober 1987 II R 11/85 -, BFHE 151, 285 (287); OVG NRW, Urteil vom 24. April 1977 II A 1394/75 -, OVGE 33, 44 (45).

42

Daher muss sich die Hundesteuer grundrechtlich nicht nur an der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne der Abgabefreiheit messen lassen, sondern auch insofern, als sie gezielt verhaltensregulierend auf die von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützte Hundehaltung einwirkt.

43

Vgl. Selmer/Brodersen, Die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts, DVBl 2000, 1153 (1165); grundlegend zur Bedeutung der Grundrechte für Lenkungssteuern: Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 214 ff.

44

Indes kann die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG durch jede verfassungskonforme, insbesondere verhältnismäßige Norm beschränkt werden. Regelmäßig bleibt die Hundehaltung als von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Tätigkeit auch bei der Besteuerung möglich. Die Unmöglichkeit der Hundehaltung im Einzelfall wegen nicht ausreichender finanzieller Mittel zur Bezahlung der Hundesteuer, wie dies etwa auch bei dem Kläger unterstellt werden kann, begründet noch keine unverhältnismäßige Einschränkung der Freiheit zur Hundehaltung, da es dafür allein, wie bei der berufsfreiheitlichen Erdrosselungswirkung, auf die regelmäßige Folge der Besteuerung ankommt. Ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit könnte nur dann bei einer solchen auf den Einzelfall beschränkten Wirkung bejaht werden, wenn es eine grundrechtliche Pflicht gäbe, auf die Besteuerung eines Verhaltens (hier: Hundehaltung) dann zu verzichten, wenn nur ohne Besteuerung der Aufwand für das Verhalten finanziert werden kann. Eine solche Pflicht gibt es nicht.

45

Die Grundrechtsbetätigung der Hundehaltung wird hier zwar mit der Finanzierung der Abgabenschuld verknüpft, was in der Literatur gelegentlich als "verfassungsrechtliches Ärgernis" bezeichnet wird.

46

Vgl. Ferdinand Kirchhof, Die Tauglichkeit von Abgaben zur Lenkung des Verhaltens, DVBl. 2000, 1166 (1170).

47

Es bleibt aber dabei, dass durch die Steuer lediglich vom lenkenden Staat für die Grundrechtsausübung ein Vermeidungsanreiz gesetzt wird. Die Tatsache, dass sich der Vermeidungsanreiz im Einzelfall zur Notwendigkeit verdichtet, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Steuernorm, weil es keinen grundrechtlichen Anspruch darauf gibt, finanziell so gestellt zu werden, dass man sich jedwede besteuerte grundrechtlich geschützte Verhaltensweise erlauben kann.

48

Der Senat schließt nicht aus, dass besondere Umstände denkbar sein mögen, die im Einzelfall die Rechtfertigung einer Steuererhebung entfallen lassen können. Das notwendig auf Typisierung und Pauschalierung angelegte Steuerrecht muss nicht alle denkbaren Fallgestaltungen ausdrücklich normativ regeln. Für solche individuellen Sonderfälle sieht das Steuerrecht das Institut des (Teil-)Erlasses der Steuerschuld aus Billigkeitsgründen vor (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m § 227 AO). Dies gibt dem Beklagten das Recht und die Pflicht, unter besonderen Umständen Härten einer den Einzelfall nicht in den Blick nehmenden Regelung auszugleichen.

49

Vgl. speziell zum Billigkeitserlass der Hundesteuer BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2000 11 C 8.99 -, BVerwGE 110, 265 (271); BFH, Urteil vom 14. Oktober 1987 - II R 11/85 -, BFHE 151, 285 (288); Hess. VGH, Urteil vom 9. September 1985 11 UE 2732/84 -, ZKF 1986, 11.

50

Dies setzt allerdings die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens auf Erlass voraus, nach dessen Ablehnung eine darauf gerichtete Verpflichtungsklage erhoben werden könnte. Im vorliegenden Verfahren des Anspruchs auf Rücknahme der ergangenen Steuerbescheide ist ein Erlass nicht Streitgegenstand.

51

Verfahrensfehlerhaft rechtswidrig, weil zu früh und bedingungslos, wurde die Steuer im Bescheid vom 20. Januar 2006 allerdings für die Folgejahre ab 2007 festgesetzt. Dennoch ist die Klage für die Steuerjahre bis 2010 unbegründet, weil der Verfahrensfehler im maßgeblichen Steuerbescheid vom 20. Januar 2006 nunmehr folgenlos ist.

52

Die Steuerpflicht beginnt mit dem Ersten des Monats der Hundehaltung (§ 7 Abs. 1 Satz 1 HStS) und wird als Jahressteuer festgesetzt (§ 9 Abs. 1 HStS). Während des Steuerjahres kann die Steuerschuld sich durch ein Ende der Steuerpflicht wieder verringern (§ 8 HStS). Von daher gibt es nichts dagegen zu erinnern, wenn zu Beginn des Steuerjahres die Hundesteuer festgesetzt wird (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG i.V.m. § 155 Abs. 1 AO). Allerdings war es unzulässig, eine Steuer vor ihrer Entstehung festzusetzen, hier also im Jahre 2006 für alle folgenden Jahre. Grundsätzlich darf eine Abgabe nicht im Voraus für alle Fälle zukünftiger Verwirklichung des Abgabentatbestandes festgesetzt werden. Eine Abgabefestsetzung im Voraus ist nur für Pauschgebühren vorgesehen (§ 9 Abs. 3 GebG NRW). Auch eine Steuervorausleistung darf nur für den laufenden Veranlagungszeitraum verlangt werden (§ 3 Abs. 3 KAG).

53

Die Festsetzung im Voraus darf grundsätzlich auch nicht durch Beifügung einer Bedingung geschehen.

54

OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2009 15 A 3053/07 -, S. 10 f. des amtlichen Umdrucks, für Studienbeiträge.

55

Hier müsste man für die Festsetzung im Steuerbescheid vom 20. Januar 2006 für die Jahre 2007 und folgende jedenfalls die Bedingung fordern, dass die Festsetzung für die Folgejahre nur Gültigkeit beansprucht, wenn die Hundehaltung zu Beginn des jeweiligen Jahres andauert. Aber selbst die Festsetzung einer Abgabe unter der Bedingung, dass sie entsteht, widerspricht dem Zweck einer Festsetzung (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 120 Abs. 3 AO). Mit der Festsetzung einer Abgabe wird ein kraft Gesetzes entstandener Abgabeanspruch durch Entscheidung über ihn und durch dessen Konkretisierung geltend gemacht.

56

Vgl. für Steuerbescheide BFH, Urteil vom 12. August 1999 - VII R 92/98 -, BStBl. 1999 II, S. 751 (752); Alber, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO, FGO, Loseblattsammlung (Stand: April 2010), § 218 AO Rn. 4; Rüsken, in: Klein, AO, 10. Aufl., § 218 Rn. 1.

57

Diesem Entscheidungs- und Konkretisierungszweck einer Festsetzung liefe es zuwider, wenn nur durch Wiederholung des gesetzlichen Abgabentatbestands die Abgabe für zukünftige Fälle "festgesetzt" würde, so dass die Beifügung einer solchen Bedingung grundsätzlich unzulässig ist.

58

Die getroffene Regelung im Steuerbescheid vom 20. Januar 2006 kann sich auch nicht auf § 9 Abs. 2 Satz 4 HStS stützen. Danach ist die Steuer bis zum Zugehen eines neuen Festsetzungsbescheides über das Kalenderjahr hinaus zu den gleichen Fälligkeitsterminen weiter zu entrichten. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob die Auferlegung einer solchen Zahlungspflicht unmittelbar durch Satzung unter Verzicht auf eine Steuerfestsetzung durch einen Steuerbescheid rechtmäßig ist.

59

Vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO zur Steuerfestsetzung "soweit nicht anderes vorgeschrieben ist"; zu solchen Ausnahmen von der Steuerfestsetzung vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, Loseblattsammlung (Stand: März 2010), § 155 AO Rn. 6.

60

Jedenfalls ermächtigt die Vorschrift nicht zur Steuerfestsetzung im Voraus, wie es durch den Steuerbescheid vom 20. Januar 2006 geschehen ist ("Dieser Bescheid ist zugleich ein Festsetzungsbescheid für Folgejahre").

61

Allerdings ist der Steuertatbestand (Hundehaltung zu Beginn des Steuerjahres) zwischenzeitlich bis zum Steuerjahr 2010 eingetreten, so dass die Steuerpflicht für die Steuerjahre bis 2010 entstanden ist und jeweils zu Beginn des jeweiligen Steuerjahres bedingungslos hat festgesetzt werden dürfen. Daher kann der Kläger allein mit Rücksicht auf den Verfahrensmangel verfrühter bedingungsloser Festsetzung die Aufhebung des Verwaltungsakts nicht beanspruchen (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 127 AO).

62

Noch weitergehend im Erschließungsbeitragsrecht, wonach die Aufhebung eines Bescheides, der fälschlich einen nicht entstandenen Beitrag festsetzt, nicht mehr verlangt werden kann, wenn der Beitrag zwischenzeitlich entstanden ist, BVerwG, Urteil vom 25. November 1981 - 8 C 14.81 -, BVerwGE 64, 218 ff.; allgemein zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Rechtslage im Abgabenrecht Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 12. Aufl., § 113 Rn. 49a.

63

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

64

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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