Zum Inhalt springen
Registrieren

Kann ein Hund, der nicht sozialisiert wurde, ganz normal werden?


Missyble

Empfohlene Beiträge

Ich finde das Beispiel sehr gut und anschaulich! :klatsch:

Das ist wie "Flasche leer":

in einer 1 Liter Flasche ist nun mal nur 1 Liter drin.

Habe ich diesen ausgegossen / aufgebraucht, kann ich sonstwas tun - da kommt nix mehr raus.

Ja, so sehe ich das mit den geistigen/mentalen Kapazitäten.

Link zu diesem Kommentar

Und um noch eins draufzusetzen:

manche Individuen haben vielleicht 15 Löffel oder 1,5 Liter zur Verfügung.

Andere nur 8 Löffel und 0,33 Liter... dann ist schneller Schluß mit Lernen, verarbeiten, kompensieren, ertragen, ignorieren...

Und bei einem deprivierten Hund weiß man doch i.d.R. nicht, wie es um seine Kapazitäten steht: wo ist die Grenze des für ihn ertragbaren, wo die Grenze, dass er noch lernen kann oder anders gesagt: wann kippt es und er fällt in andere Muster zurück.

Eigentlich ist das nicht nur beim deprivierten so, sondern bei jedem... Hund und Menschen.

Kommt auch auf die Art der Aufgabenstellung an:

gibt mir ne komplexe Aufgabe mit Excel und ich dekompensiere recht schnell - meine Affinität zu Zahlen bezieht sich auf praktisches, aber nicht auf Tabellen, Bilanzen etc., da sind nicht meine Stärken.

Link zu diesem Kommentar
velvetypoison

Meiner ersten Hündin wurde auch Deprivation nachgesagt.

Ob es stimmt, weiss ich nicht.

Als ich nach 2 Jahren herausfand wie man mit ihr am besten umging, war es auch nicht von Bedeutung.

Was Löffel betrifft, so hatte sie an manchen Tagen nur 2. Teelöffel *g* Sie war Meisterin des positiven Stresses.

Und dann gab es Dinge, da stand ihr ein ganzer Besteckkasten zur Verfügung der sich immer wieder aufüllte.

Link zu diesem Kommentar

Ich würde Minos heute schon als normalen Hund bezeichnen, aber:

 

es gibt bei ihm Dinge, die ich täglich beachte.

 

Er ist ein Hund, der die Umgebung checkt und nach außen orientiert ist. Das lenkt ihn dann zum Teil auch stark ab bzw. verursacht Stress.

Wenn ich mit den Hunden an der Leine unterwegs bin, zeigt sich das dann so, dass er entweder erschrickt und dann ausweicht (Veränderung in der Umgebung), oder wenn es z. B. ein Geräusch ist, er sich mehrfach umdreht. 

 

Auch habe ich das Gefühl bei ihm, dass er nicht immer in der Lage ist, ein vorne laufen zu bewältigen. Wenn wir z. B. ohne Leine unterwegs sind, geht er seinem Tagesgeschäft nach und schnüffelt. 

Da gibt es dann ein Schnüffeln, wobei er locker mitläuft, immer mal wieder stehen bleibt um intensiver zu schnüffeln und sich dann auch zu mir und Fly umschaut, sprich dann auch wartet.

 

Dann gibt es aber auch Phasen, wo er sofort in einen stetigen Trab verfällt, in Anspannung gerät, die ganze Körperhaltung zeigt das auch und uns ausblendet. Der Reiz ist dann sehr stark und nimmt ihn komplett ein. 

 

Jetzt hat Minos aber auch Jagdtrieb, von daher muss man schon überlegen, was muss man dem Trieb stunden und was seinen Bewältigungsmöglichkeiten allgemein?

 

Es gibt hier eine Runde die wir laufen, wo eine Kurve eingebaut ist. Hier kann ich nicht einsehen, was von vorne kommt. 

An dieser Stelle ist Minos sofort in Erwartungshaltung und stark erregt.

 

Ich habe viel ausprobiert, was ich tun kann, um ihn aus diesem Erregungs- und Stresspegel, denn er ist dann gestresst (die Bewegungen werden dann zum Teil sehr hektisch) herauszuholen.

 

Geholfen haben uns dann diese Dinge:

Ich taste immer mal wieder seine Erreichbarkeit vorne ab, indem ich ihm z. B. ein "Halt" gebe. Er bricht dann sein Trablaufen und Schnüffeln ab, konzentriert sich auf mich und fährt runter. Manchmal reicht das schon aus, manchmal aber auch nicht.

 

Wenn er nach Freigabe dann aber wieder in den Turnus von vorher verfällt, also wieder hektisch wird, bringt das nichts.

 

Zweite Möglichkeit, ich nehme ihn zu mir ins Fuß. Sofort wird er ruhiger und konzentriert sich auf mich. Bei dieser Stelle mit der Kurve ist das dann schon mal hilfreich.

 

Dritte Möglichkeit, merke ich, dass Minos einen Tag hat,  an dem er generell schon sehr hektisch ist und irgendwie gar nicht klar kommt, (ich rede hier die ganze Zeit über vom Freilauf), beordere ich ihn hinter mir zu laufen.

Es kann dann noch 1, 2 Minuten dauern, wo er dann immer mal wieder an kommt, meine Hand berührt oder sich vom hinter mir laufen versucht ins Fuß zu setzen, aber wenn ich das dann ignoriere und meine Position vorne zu laufen halte, geht er auch seinem Tagesgeschäft (schnüffeln) hinter mir nach und das absolut ruhig.

 

Es ist also an manchen Tagen einfach angespannter und vor mir zu laufen und stresst ihn.

 

Betrete ich als Mensch zuerst das Feld, sichere dieses vielleicht auch durch mein Betreten ab, kann er entspannen.

 

Es gibt dann aber auch wieder Tage, wo ich gar nichts dosieren muss und er einfach ruhig mit uns mitläuft.

 

Das mal als kleinen Einblick von uns. :)

  • Gefällt mir 1
Link zu diesem Kommentar

Deprivation heißt nicht, dass da ganz konkret feststehende, definierbare Dinge passiert oder nicht passiert sein müssen, sondern lediglich, dass in unterschiedlichen Bereichen Reizarmut bis fehlende Reize stattfanden.Von Mangel, der Auswirkungen bewirkt, bis vollkommener Entzug/Abwesenheit von bestimmten Reizen in unterschiedlichen Bereichen läuft alles unter Deprivation.

Deprivationssyndrom als Diagnose versucht die sichtbaren Folgen davon festzustellen und zu formulieren. Das ist genauso individuell , wie alles andere auch.  Mehr ist das nicht.

www.lebenshilfe-abc.de/deprivation.html

 

Das Problem mangelnder Generalisierung ist dabei ein doch deutliches, mögliches Kennzeichen, ebenso wie eine deutlich verminderte Stressresistenz usw.

 

Als Nicky zu mir kam, war er anfangs von sämtlichen Reizen überfordert. Er schien nicht sortieren zu können, was da auf ihn einprasselt, wie zB visuel, taktil, auditiv, olfaktorisch, gustatorisch. Somit war er ununterbrochen übererregt, sozusagen auf einem Energielevel von 180 , sobald er das Haus verließ. Anfangs natürlich auch im für ihn fremden Haus und Garten.

Gelernt hatte er schon: Alles was Angst macht kann ich attackieren, denn ohne Attacke verschwindest es nicht - mit Attacke kann ich wenigstens die Erregung abbauen. Terriermässig dazu veranlagt, nach vorne zu agieren, anstatt sich zurückzuziehen.

 

Das Problem sehe ich nicht allein in Deprivation unterschiedlicher Ausprägungen, sondern auch darin, dass die möglichen Folgen von Deprivationen, sprich unerwünschte Verhaltensweisen, wie ziehen an der Leine, aggressives Ausdrucksverhalten usw.  in unverständigem Umfeld dann auch noch häufig für den Hund unverständlich "korrigiert bis sanktioniert" werden und daraus entstehen dann erst die großen Probleme, die es nicht bräuchte, wenn so ein mangelhaft an die Umwelt/Menschen/Artgenossen gewöhntes Tier möglichst frühzeitig langsam und schonend an die Erfahrungen herangeführt werden würde, bei denen es Defizite aufweist und zum Ausdruck bringt.

Also kommen zu den unterschiedlichen Mangelzuständen dann leider häufig auch noch Traumata hinzu.

 

Reizarmes Aufwachsen alleine muss nicht zwingend gravierende Folgen haben. Folgen - ja, wie zB. weniger Stressresistenz, Lernfähigkeit "etwas behindert" usw., aber das alleine kann ja gut gehändelt und zum großen Teil aufgeholt, bzw. adäquat kompensiert werden.

 

Bei Nicky hieß das, anstatt, wie er es erlebt hatte, per Alphawurf und Bewegungseinschränkungen "beruhigt"  und an dünner Lederschnur ohne Zugstopp an Flucht und Attacke gehindert zu werden, ein ganz wohldosiertes Ranführen an die Dinge, die er nicht kannte, bzw. die ihn "auslösten" UND gezielte Gegenkonditionierung.

Da waren anfangs alleine das ruhige Rausgehen vom Haus und 5 Minuten Spaziergang schon die Obergrenze, was er ertragen/leisten  konnte.

Ruhiges Rausgehen lernte er ohne Bewegungseinschränkung per körpersprachlicher Kommunikation, sondern mittels positiver Bestätigung von allem, was er wahrnahm und er eben gerade nicht austickte.

 

Man möchte nicht glauben, wie schnell das geklappt hat. Als er  anfing zu begreifen, dass da nicht noch was Schlimmeres hinzugefügt wird, wenn er sich eh schon "schlimm fühlt", fing er schnell an, zu kooperieren und seine Reizschwelle konnte nach und nach angehoben werden, sodass ihn heute, nach gut 2 Jahren, all die Dinge, die ihn anfangs auf 180 kickten, kaum bis gar nicht mehr auslösen. Geblieben ist aber, dass er nicht immer soviele Löffel zur Verfügung hat, wie ein günstig aufgewachsener Hund. Ok, bin ich mir bewusst und gehe damit so um, dass er entweder nicht über die Maßen erregt wird - oder wenns passiert, dann hat das keine negativen Folgen für ihn, weil ers dann sowieso nicht annehmen könnte, egal, wie man einwirken würde.

 

Korrekturen gibts bei uns im normalen Alltag so, wie bei allen meinen (gewordenen) Wald-und Wiesenhunden, die bereist gut "erzogen" worden waren: Sind kaum nötig und wenn, dann brauchts nur eine freundliche Ansprache, ein Aufmerksamkeitssignal,  ein positiv konditioniertes Nein oder ähnliches. 

Aber als Basis habe ich immer drauf gebaut, erstmal Defizite aufzufüllen, wo es geht, damit der Hund erst gar nicht mehr in so hohe Erregung kommen muss, traumatische Erfahrungen gegen zu konditionieren und keinen mehr obendrauf zu setzen, wenn der Hund sich eh schon mies und überfordert fühlt.

 

Ganz normal, im Sinne von stressresistent, Artgenossen allgemeinverträglich, hoher Reizschwelle und Gelassenheit in allen Lebenslagen?

Wird der trotzdem nie werden. 

Aber er hat neue Strategien entwickelt, die ihm helfen, besser mit den Anforderungen der Umwelt klar zu kommen, ohne übermässig gestresst zu werden.

Link zu diesem Kommentar

Genau dieses Maß an Möglichkeiten, die ein Hund hat, ist wohl der Schlüssel zum erfolgreichen Umgang mit diesen Hunden. Nämlich zu erkennen und zu akzeptieren, dass erstens ihre Kapazitäten generell einfach nicht so groß sind wie die von "normalen" Hunden, und zweitens, dass man diese nicht nach einer Einzelsituation, sondern immer in der Summe beachten muss. Ich habe für meinen Krümel festgestellt, dass "Stress pro Woche" ein gutes Maß ist. Mag aber für andere wieder anders sein.

 

Wichtig dabei: Nicht nur einzelne Belastungssituationen lassen das "verfügbare Konto" schrumpfen. Sondern zum Beispiel auch jeder Moment, der Impulskontrolle erfordert. Wenn ich vom Krümel auf dem ganzen Weg um die Häuser verlange, dass er immer brav auf der "Innenseite" bleibt und auch nicht guckt, ob unter den Autos vielleicht eine gefährliche Katze hockt - dann kann ich mir sicher sein, auf dem letzten Wegstück lassen ihn die vorbeifahrenden Autos komplett austicken. Erlaube ich das aber und fordere ihn nur nach kurzer Inspektion zum Weitergehen auf, sind auch die Autos kein Thema.

 

Ebenfall vom Guthaben zehren Dinge wie körperliche Belastungen etwa durch ein kleines Bauchgrummeln, Insektenstiche oder ähnliches. Und, womit wir bei der Trainingsfrage wären: Auch jegliche aversive Einwirkung. Was ja im Grunde nur logisch ist, verbindet diese doch sogar beide Komponenten, nämlich Impulskontrolle und Unwohlsein (das ja nicht notwendigerweise durch körperliche Beschwerden ausgelöst werden muss).

  • Gefällt mir 1
Link zu diesem Kommentar
Gast Fangmich

Den Unterschied merkt man aber ganz schnell, bei gut sozialisierten (und nicht allzu unsicheren/umweltunsicheren) Hunden. Die haben dann ein bisschen Stress, gucken sich das an und beim nächsten Mal können sie es (schon fast).

Beim deprivierten Hund ist das so:

Der lernt das so nicht nur nicht, es wirkt sich auch im Alltag extrem negeativ aus. Plötzlich kommen alte Probleme wieder, der Hund ist nervös, wird krank davon oder "resetet" im schlimmsten Fall.

Das kann und muss ich so bestätigen.

Hätte ich beim derzeitigen Hund einfach weiter über dosierte Gewöhnung gearbeitet, wäre ich verzweifelt.

Da tut sich gar nichts. Es bleibt gleich schlimm und wenn ich es versuchte, fiele sie sehr flott auch gleich in alte andere VHmuster zurück, die wir durch weitestgehende Wegnahme des Hauptstressors erfolgreich "bearbeitet" haben.

Link zu diesem Kommentar
  • 2 Wochen später...

Ist zwar jetzt nicht die passende Antwort auf die Frage hier im Thread, aber da ich beruflich mit solchen Menschenkindern zu tun habe und mich aus diesem Grund doch schon weit in das Thema reinknien musste, um kompetente Arbeit zu liefern, möchte ich auf ein Buch hinweisen, das dieses Thema intensiv und detailliert behandelt.

Da das Hundehirn dem Menschenhirn ähnlich aufgebaut ist und ähnliche Abläufe zu finden sind, kann ich es dem interessierten Leser echt ans Herz legen.

Man kann daraus für sich selbst und auch für die Hunde sehr viel brauchbares mitnehmen.

Der Junge, der wie ein Hund gehalten wurde  Einfach die Rezensionen lesen und entscheiden, ob s einen interessieren könnte.

Gerade was Deprivationen betrifft, kann es das Verständnis fördern und auch Hoffnung spenden.

Mir persönlich hats sehr viel gebracht für meinen Nicky und auch einigen anderen Hunden.

 

Hi Duoungleich,

ich habe mir das Buch gekauft und gestern nacht angefangen zu lesen. Ich bin fast durch und finde es wirklich spannend. Sehr interessant. Danke für die Buchempfehlung!

Karekis Buch ist akutell nicht verfügbar gewesen, weshalb ich mir erstmal dieses Buch gekauft habe :)

Link zu diesem Kommentar

Hi Duoungleich,

ich habe mir das Buch gekauft und gestern nacht angefangen zu lesen. Ich bin fast durch und finde es wirklich spannend. Sehr interessant. Danke für die Buchempfehlung!

Karekis Buch ist akutell nicht verfügbar gewesen, weshalb ich mir erstmal dieses Buch gekauft habe :)

Wow, Du bist schnell!

Freut mich, dass Du es interessant findest. Ist eins meiner Lieblingsbücher. 

Link zu diesem Kommentar

Erstelle ein Benutzerkonto oder melde Dich an, um zu kommentieren

Du musst ein Benutzerkonto haben, um einen Kommentar verfassen zu können

Benutzerkonto erstellen

Neues Benutzerkonto für unsere Community erstellen. Es ist einfach!

Neues Benutzerkonto erstellen

Anmelden

Du hast bereits ein Benutzerkonto? Melde Dich hier an.

Jetzt anmelden
×
×
  • Neu erstellen...